Brasilien

Die Welt des Fitzcarraldo

Text und Fotos: Katharina Büttel

 

Im Windschatten von Olympia in Rio: Piranhas angeln oder Kaimane streicheln? Alles möglich im brasilianischen Amazonas-Regenwald. Ihn empfinden jene als Ort der Selbstfindung, die unberührte Natur als Luxus begreifen.  

          Das Röhren der Brüllaffen und das Kreischen der Aras sind eindringliche Weckrufe. Rasch ist das Moskitonetz eingerollt, die Hängematte gespannt, der „Good-morning“-Tee serviert. Die Sonne brennt schon früh ohne Milde und zeichnet die Ufer des Puraquequara messerscharf. Morgens erscheint der Urwald mit den geheimnisvollen Geräuschen unendlich hoch, groß und stark.

          Aus der grünen Mauer ragen Riesenbäume in den Himmel, von Lianen gehalten wie Telegrafenmasten. Der Blick verfängt sich im Gewirr aus Zweigen, Farnen und Luftwurzeln. Am Fluss erwacht das Leben: Holzkanus gleiten über seichtes Wasser; legen an, fahren wieder ab. Rotgelbe Aras sitzen in einer Baumkrone, Tukane kreuzen hoch über dem Seitenarm des Amazonas. Ein Faultier hängt zusammengerollt in einem Baum, hangelt träge mit dem Arm nach Blättern. Farbtupfer im Grün sind bunte Tücher, die Frauen um ihre Hüften tragen. Sie waschen, baden, lachen, schwatzen. Mit Stolz und prallgefüllten Körben verlassen sie die Ufer in Richtung Dorf. Ein „Naturgemälde“, wie von Künstlerhand geschaffen.

           Amazonien, im Herzen Brasiliens, besitzt den größten Regenwald der Welt. Fast ohne Straßen und Eisenbahnlinien, aber mit 40 Tausend Flüssen, 6000 Inseln und der Hälfte aller bekannten Pflanzen- und Tierarten – ein unschätzbarer Wert für die Menschheit. Flugzeuge und Boote sind die wichtigsten Verkehrsmittel ins Innere. Die Fläche passt in ganz Westeuropa, hat aber weniger Einwohner als New York City. Die Lebensader, der Amazonas, ist mit 6780 Kilometern der längste Fluss der Welt. Kein anderer Strom ist so mächtig und wasser-reich. Kaum eine Gegend beflügelt wie diese, seit der spanische Konquistador Francisco de Orellana vor 450 Jahren von Goldschätzen und Amazonen berichtete, die dem Fluss und dem Regenwald seinen Namen gaben.

          Aus großer Höhe erscheint der Urwald unendlich und dicht, als flöge man über riesige Brokkoli-Köpfe. Wie eine Insel liegt der Zweimillionenmoloch Manaus in diesem grünen „Ozean“, der nur aus der Luft oder mit dem Boot erreichbar ist. Von Manaus führt keine Straße zu einer anderen Stadt.

          Ein magischer Name: Manaus. Wie Timbuktu und Thule regt er die Vorstellungskraft Reisender an: Sie träumen sich von morbiden Kolonialbauten der Kautschukbarone zum wahnwitzigen Filmhelden Fitzcarraldo, der ein Dampfschiff über einen Berg ziehen ließ, weil er vom Bau eines Opernhauses träumte. Gelungen ist es ihm nicht, gebaut wurde das berühmte „Teatro Amazonas“ 1896 dennoch. Mit Marmor aus Carrara, Lampen aus Murano, golde-nen Draperien aus Frankreich, englischem Schmiedeeisen.

           Schwierig bei Tropenregen gestaltet sich das Einschiffen im Hafen. Bartholomeo, der erfahrene Begleiter während des Dschungeltrips, hilft auf die „Simao Santos“. Sein Gesicht ist markant, das Profil scharf geschnitten. Wie die meisten Amazonier ist er ein Caboclo. „Vater Portugiese, Mutter Indianerin“, erklärt er in perfektem Deutsch. Und die blauen Augen? „Vom Großvater aus den Niederlanden“.

          Kapitän Marcos lenkt den Dampfer mit zweistöckigem Aufbau und umlaufender Veranda durch die schwarzen Fluten des Rio Negro. Hinter Manaus fließt der Strom mit den Massen des lehmgelben Rio Solimoes zusammen und trägt erst ab hier bis zur 2000 Kilometer entfernten Atlantik-Mündung den Namen Amazonas. Marcos hat ihn vom Ursprung in Peru bis zur Mündung befahren. Am liebsten steuert er jedoch den Rio Negro hinauf. Hier nistet kein Malaria-Moskito - ungestört dringt man tief hinein ins Flussgeflecht.

          Am Rand paddeln Indio-Familien im Einbaum zu den Dorfmärkten am Ufer. Nach zwei Stunden taucht zwischen Affenbrotbäumen und Lianen das „Amazon Village“ auf. Sanft legt die „Simao Santos“ an. Man sieht nur Dickicht, wirr und grün, und einen Indianer mit Machete. „Lazaro, der Führer für die nächsten Tage“, stellt ihn Bartho vor. Ein Mann des Dschungels, mit warmen Augen und angenehm zurückhaltend.

          Die Wildnis Amazoniens lockt immer mehr Gäste aus aller Welt an. Neue Urwald-camps entstanden: Luxuriöse und einfache, gebaut nach indianischer Tradition aus Holz auf Stelzen. Schließlich müssen sie der Regenzeit standhalten, wenn der Wasserspiegel bis zu 15 Meter ansteigt. Umgeben von Yuccas und Hibiskusblüten vergisst man schnell die Hektik des modernen Lebens und genießt das „Survival light“.

          Zur Dschungeltour treten alle mit langen Hosen und langärmelig vor Lazaro. Er selbst ist ausgerüstet mit Machete und Gewehr: „Beides ein Muss im Wald. Und die Mützen: sie sollen nicht vor Sonne schützen, sondern vor herabfallendem Getier“. Barfuß führt er hinein in den feuchtheißen Urwald. Alle starren auf den Boden, steigen über kniehohe Wurzeln, umrunden Erdlöcher von Vogelspinnen. Lazaro strahlt: Ein handtellergroßes Exemplar krabbelt gerade aus seiner Behausung. Das lässt keinen kalt. Lianen, dick wie Baumstämme, winden sich in grünen Spiralen über den Weg. „Genau hinsehen, auch manche Schlange trägt hier Tarngrün“, mahnt er.

          Weiter geht es durch dichtes Grün, das berauscht, im Ohr die Stimmen exotischer Vögel. Über, neben, hinter der Gruppe Blätter und Palmwedel, die sich in alle Richtungen strecken: Zartgelb marmoriert oder von silbernen Fäden durchwirkt. Die Luft riecht nach Moos und Kräutern. „Der Urwald ist Supermarkt und Arzneischrank“, lächelt Bartho. „Hier besorgen wir uns Obst, Gemüse, Fisch und Tapirfleisch. Und was Affen schmeckt, können meist auch wir essen. Die Natur ist weise“. Jede Wurzel und Pflanze kenne er, aus denen Medizin und das Pfeilgift Kurare gewonnen wird.

          Unterwegs zeigt Lazaro wie man mit Pfeil und Bogen Tapire jagt und Blasrohre zum Affenjagen spitzt. Wie die Indianer entfacht er Feuer mit Palmenblättern. Durch 15 Millionen Jahre alten Primärwald rudert er zu der Stelle, wo sich Piranhas mit Stockangeln fangen lassen. Im Boot, zwischen mangrovenähnlichen Bäumen, stecken die Gäste Rindfleisch auf Haken. Alle paar Minuten zuckt es an der Schnur. Die kleinen Raubfische sind hier weder gefährlich noch aggressiv. Vorsicht jedoch beim Poraqué: „Der Zitteraal verpasst seiner Beute Stromschläge von bis zu 500 Volt. Das gefährlichste Tier Amazoniens ist die Anaconda. Sie versteckt sich im Wasser, in Sekunden jedoch könnte sie einen Menschen erwürgen,“ warnt Lazaro.

           Am Abend, nach gekühltem Cupuacu-Saft und Filetspitzen, wird es spektakulär. Als Düsternis das Ufer verschluckt, manövriert Lazaro sein Kanu traumsicher in einen Nebenarm des Puraquerara. „Die beste Zeit Kaimane zu sehen. Anleuchten, dann reflektieren ihre Augen rot.“ Fahler Mondschein überhaucht die Wipfel. Leise gleitet das Boot durch die Dunkelheit, umlullt vom Zirpen der Zikaden. Vor zwei Tagen noch hätte es jeder seltsam gefunden, allein im Dschungel zu sein. Heute schauen sie in einen Kaimanschlund. Zähne, lang wie Messerklingen, blitzen im Lampenschein. Plötzlich will jeder ganz vorne sitzen – und sich verzaubern lassen vom Augenaufschlag eines Kaimans.    

     

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Reiseservice:

Anreise: Wer individuell reisen möchte, zahlt für einen Flug mindestens 960 Euro, z.B. mit TAM über Rio de Janeiro, Sao Paulo oder Brasilia nach Manaus; von dort ca. 40 Kilometer mit dem Boot zum „Amazon Village“. Info: 06102-36579-14; www.tam-airlines.at

Einreise: Kein Visum erforderlich, nur ein 6-Monate-gültiger Reisepass.

Reisezeit: Am günstigsten ist der europäische Winter; preiswerter ist jedoch die Nebensaison.

Gesundheit: Das Schwarzwasser des Rio Negro ist sauer, deswegen Malariafrei. Gelbfieberimpfung wird empfohlen.

Sprache: Die 128 Millionen Brasilianer sprechen Portugiesisch, in Hotels auch Englisch und Spanisch.

Veranstalter: Spezialanbieter „gateway brazil“ bietet Brasilienreisen an, die das „Amazon Village“ in Amazonien enthalten: Beispiel: Höhepunkte Brasiliens mit Rio, Iguassú, Amazonien mit Manaus, Salvador da Bahia in 12 Tagen inkl. Flug mit TAM, DZ und Verpflegung ab 2637 Euro/Pers. – Auf Anfrage auch nur ein Dschungel-Paket möglich und/oder das Pantanal als Baustein-Programm; www.gateway-brazil.de; info@gateway-brazil.de; Tel.: 0049/341-392813020.

Literatur: Polyglott: Apa Guide Brasilien mit DVD für 24,95 Euro, Brasilien on tour mit Karte 7,95 Euro.

Brasilien für Insider

Nahaufnahme eines Sehnsuchtslandes mit dunklen Flecken

 


 

Aktuell zur Fußball-WM nimmt Brasilien-Korrespondent des ZDF, Andreas Wunn, Jahrgang 1975, die Leser auf unterhaltsame Art und Weise, mit Witz und einem Augenzwinkern, mit auf eine Reise durch Brasilien – dem großen Land der Superlative, des Fußballs, der schönen Frauen, aber auch der tausend krassen Gegensätze. Pure Lebensfreude hier, schillernd, abenteuerlich und sinnlich - anderswo unübersichtlich, chaotisch, kriminell und voll im Umbruch. Er beschreibt hautnah – immer in direktem Kontakt mit den Menschen - die Wirklichkeit: in Rio die goldgelben Strände von Copacabana und Ipanema neben den engen, berüchtigten, oft gewalttätigen Favelas. Das unglaubliche Wassersystem des Amazonas, die pulsierende Mega-Metropole Sao Paulo, Samba und Bossa Nova sowieso, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wer hinfährt, beachte ein paar Regeln, die auch für die Einheimischen gelten: zuhause bleibt man nur, wenn es regnet. Gestresst ist man nur an Karneval, oder wenn die Fußballzauberer bei der WM verlieren. Und Gott ist Brasilianer – oder doch Altstar Giovane Élber?

KB

Autor: 

Andreas Wunn, geboren 1975, lebt und berichtet seit 2010 aus Brasilien und ganz

Südamerika. Er studierte Politik- wissenschaften in Berlin und Tokio, lebte in den USA  und Bolivien.

Auch lesenswert: sein humorvolles Buch „In Brasilien geht’s ohne Textilien“, 2013 bei Heyne erschienen.

 

Verlag:  „Brasilien für Insider“, Heyne Verlag, www.heyne.de

ISBN:     978-3-453-20057-9

Preis:    14,99 Euro