Serbien

„In Guca spielt die Seele"

 

Das 51. Balkan Trompetenfestival sucht die Balance zwischen Kunst und Chaos

Text und Fotos: Christel Sperlich

 

 

 

  

"Meine Freunde, lasst uns singen und tanzen", heißt es in in dem alten serbischen Frühlingslied „Ederlezy". Die sanfte Melancholie, in Guca wild und rockig ausposaunt, schallt über das gesamte Dorf, durch alle Restaurants, Kneipen und Bars. Es ist die Filmmusik des preisgekrönten Films „Zeit der Zigeuner" von Emir Kusturica, die der serbische Sänger Goran Bregowitsch komponierte und damit das Trompetenfestival in Guca wesentlich prägte.

In dem kleinen Dorf im Südwesten von Serbien, drei Stunden von Belgrad entfernt, findet jedes Jahr im August das Dragacevo Trompetenfestival statt, eines der bedeutendsten Musikveranstaltungen in Südosteuropa. Die dominierende Musikrichtung ist der Balkan Brass. In einem Land wie Serbien, in dem Nationalismus großgeschrieben wird, ist Guca ein Markenzeichen geworden. Das Dorf gleicht einer riesigen Party unter freiem Himmel.

Seit 1961 treten Künstler und Orchester aus aller Herren Länder gegeneinander an und sorgen fünf Tage lang für Stimmung. Zelte werden gespannt, Tische und Stände aufgestellt, an den Gartentoren der kleinen Siedlungshäuser, an Eingangstüren der Plattenbauten stehen, herausgeputzt, die gastfreundlichen Bewohner und erwarten ihre Gäste. Rhythmische Trompetenwogen rauschen durch Straßen und Plätze. Die sind in diesen Tagen mit Müll übersät. Die Wege von Ständen gesäumt, die gegrilltes Fleisch anbieten, Ikonen, Spitzendeckchen, die typischen, ländlichen Schnabelschuh und allerlei unnützen Klimbim.

Ivan verkauft Sitzhocker, der Stoff umspannt mit Mickimaus, Che Guevara Porträt oder Coca Cola Werbung. Zum Mittanzen hat er keine Zeit, denn von den Einnahmen werden er und seine Familie die nächsten Monate über leben müssen. Eigentlich hat das Dorf den Rest des Jahres nur wenige Restaurants und Hotels. Zum Festival aber wird beinahe jede Wohnstube zu einem Gästezimmer verwandelt, jeder Hof, jeder Garten zum Camping angeboten.

Denn wenn im August mehr als 200 Trompeter die Festivalhymne „Sa Ovcara i Kablara" zu spielen beginnen, steige das Adrenalin im ganzen Dorf, dann sollen selbst die umliegenden Berge vibrieren, heißt es. Dann verwandelt sich Guca in ein Ort, an dem die ganze Leidenschaft und Poesie eines Volkes durch die Blechblasinstrumente zum Ausdruck kommt.

Seit der Herrschaft von Prinz Milos Obrenovic, der 1831 das erste Militärorchester gründete, berührt der Sound der Trompeten die Seelen der Menschen. Miles Davis soll sich bei einem Besuch angesichts des Festivals in Guca gewundert haben. „Ich wußte nicht, dass man Trompete auf diese Art spielen kann!" Immer wenn die Menschen was zu feiern haben, bei Geburten, Hochzeiten, Bestattungen, christlich-religiösen Feiertagen ist die Trompete mit dabei. Sie spielt volkstümliche, traditionelle Lieder, Märsche aber auch Lieder aus neuerer Zeit und aktuelle Hits, und diese mit einem eigens ausgeprägten, traditionellen Akzent.

„Beim ersten Trompeten-Fest in Guca, im Oktober 1961, spielten im Hof der orthodoxen Kirche vier Orchestern aus Dragacevo mit je fünf Instrumenten. Das war ein eher kleines Fest, das aber mit der Zeit immer größer wurde", erinnert sich Milosavljevic Aleksandar von der serbischen Kultur- und Bilungsagentur „RAS" und Dolmetscher auf dem Festival. „Als die Leute die Musik hörten, sprach sich das herum wie ein Lauffeuer." Heute ist Guca als „Trompetenrepublik" bekannt, ein Füllhorn purer Lebensfreude. Jährlich kommen immer mehr Gäste in die 3000 Seelengemeinde, 700 000 waren es in diesem Jahr.

Höhepunkt des inzwischen 51. Festivals ist der Wettbewerb der besten Blechblasorchester, die um die „Goldene Trompete" ringen, die ihnen zu Ruhm und guten Aufträgen verhelfen soll. Die meisten von ihnen sind Roma-Orchester, regelrechte Familienunternehmen mit Großvater, Sohn und Enkel. Die Trompete spielt eine große Rolle in den Familien und wird von Generation zu Generation weitergegeben.

Die Vorentscheidungen des Finale finden jeweils einen Monat zuvor in einem offenen Blaskapellenwettbewerb in vier Landesteilen ganz Serbiens statt. Neben den verschiedenen Konzerten und dem Wettbewerb stellen sich auch Nachwuchs Brass Bands vor, traditionelle Hochzeiten werden auf der Hauptbühne mit den typischen Kola Tänzen nachgestaltet, an der Kirche St. Archangel Gabriel singen Chöre religiöse Lieder. Höhepunkte des diesjährigen Festivals sind die Konzerte von Boban und Marko Markovic und natürlich von Goran Bregovic.

Die Musik beschreibt Milosavljevic Aleksandar als eine interessante Mischung traditioneller serbischer Musik mit zunehmend ausländischen Einflüssen. Umgedreht entstehen ausländische Musiktitel mit serbischen Einflüssen. „Die westliche Musik, ob Punk, Pop, Rap oder Rock findet hier neue Impulse. Die meisten teilnehmenden Musiker haben keine offizielle Musik-Ausbildung. Sie bringen sich die Lieder meist selbst bei, spielen spontan aus dem Herzen. Und genau das macht dieses Fest zu etwas Besonderem!

Von der Bäckerei bis zum Schuhgeschäft, jede Boutique, jeder Friseursalon verwandelt sich in einen Bierausschank, in eine Kneipe oder in ein Restaurant, durch die unzählige Bläserbands ziehen. Auf den Straßen, in den Vorgärten, und Bars wird geklatscht, getanzt, gesungen. Der 21-jährige Stevan strahlt. „Mir gefällt die Musik. Ich bin mit ihr aufgewachsen, die Trompete war mein Spielzeug. Die Musik erzeugt eine besondere Energie, aber sie ist nichts für Juice, man muss Bier trinken." Und es wird viel Bier getrunken in Guca.

Da wundert es nicht, wenn Gucas Spezial Kurier titelt „Es ist nicht alles Trompete, was glänzt".

Das Bier enthemmt. Mädchen tanzen leicht bekleidet auf den Tischen. „Erst wenn ich sieben Gläser Bier getrunken habe, werde ich tanzen", meint Stevan. Noch fehlt ihm der Mut, sich wie die anderen jungen serbischen Männer zu zeigen, die sich lautstark wie Streithähne im Wettkampf aufplustern, ihre Muskeln und hängenden Bierbäuche spielen lassen. Immer die gleichen Bilder, Testosteron und lautes Getöse. Mit schüttelnden Schultern animieren sie die Musiker, immer weiter, immer schneller, immer heftiger zu spielen. Zugleich animieren unermüdlich die Trompeten die Tänzer, bis ihnen Geldscheine in die Öffnung der Trompete geworfen oder an die verschwitzte Stirn geklebt wird. Am Hauptplatz schwenken Jugendliche auf und neben der Trompeterstatue begeistert serbische Flaggen und verschaffen sich mit ihren Sprechchören Gehör. Die Stimmung heizt sich auf. Manchmal scheint die geballte Energie zu kippen. Doch sie entlädt sich nicht. Es hat den Anschein, als ob die Musik die guten Kräfte bündelt, als hielten die alten Volkswaisen die Balance, das Fest nicht zum reinen Komasaufen und politischen Sympathiekundgebungen verkommen lassen. Kein Zwischenfall war in den Tagen danach zu vermelden.

„Die Arbeitslosigkeit sei derzeit das größte Problem im Süden Serbiens, die wirtschaftliche Situation schwierig. Die Jugend habe wenig Perspektiven", meint Miljana Kaplarevic, die Direktorin des Kulturzentrums in Guca und Leiterin des Festivals.

„Dennoch treiben keine politischen Motive die Leute nach Guca. Wir versuchen, Politik weit draussen zu lassen." Auch während der Bombardierung Serbiens durch die Nato Ende der neunziger Jahre haben die Trompeter nicht aufgehört zu spielen. „In der Musik gibt es keinen Nationalismus", sagt Goran Bregowitsch in einem Interview. Trotzdem ist Miljana Kaplarevic besorgt, wie es mit dem Festival weitergehen soll. Die Infrastruktur genüge nicht mehr den Anforderungen einer so starken Besucherzahl, das Wasser reiche nicht aus, Einheimische und Gäste zu versorgen, die Müllberge verschmutzen das Bild in Guca. „Wir werden uns verstärkt darum bemühen, auf der einen Seite unbeschwert mit den Gästen zu feiern, und andererseits unsere Kultur und nationale Identität nicht zu verlieren." Nur so könne das Fest seinen archaischen Charme bewahren und nicht zu einem commerziellen Lifestyle-Event abrutschen. Durchdrungen vom Geist der authentischen Folklore, spielt die Hauptrolle auf dem Dragacevo Trompetenfestival immer noch die Musik, und die ist nun mal nicht zu bändigen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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