Russland

Russisches Bilderbuch

 

          1726 Kilometer zu Schiff von St. Petersburg nach Moskau durchs stille Karelien zu den altrussischen Städten auf dem Goldenen Ring – endlos, prächtig, pompös.

 

Text und Fotos: Katharina Büttel

 

        „Glockentürme, Kirchtürme jeglicher Höhe, jeglichen Stils und jeglicher Farbe, Paläste, Dome, kleine Pavillons an der Seite von Kathedralen!“ stammelte voller Bewunderung der Marquis de Custine 1839 auf seiner Russlandreise, als er die Pracht im Zarenreich zu sehen bekam. Auch heute noch sind die Besucher tief beeindruckt. Und es reist sich komfortabel und entspannt - der Marquis rumpelte noch auf hartgefederten Postkutschen daher.

            Für elf Tage ist der Fluss-Kreuzfahrer auf einer gemächlichen Reise voller Superlative. Man fährt über zehn verschiedene Gewässer: Europas größten See, den Ladoga-See, über Europas längsten Fluss, die Wolga, und den längsten Kanal der Welt, den Wolga-Ostsee-Kanal. Altrussische Städte, endlose einsame Kiefernwälder, ländliche Provinz.

            Petersburg bei Nacht ist eine Offenbarung, eine Überwältigung. Die Altstadt strahlt in hellstem Glanz, alles leuchtet: der berühmte Newskij Prospekt mit seinen einzigartigen Häusern dicht an dicht, die Erlöser-Blut-Kirche, das frühere Puschkin-Theater, die eleganten Adelspaläste entlang der Fontanka, dem malerischen Kanal, der sich wie die Mojka durch die Stadt windet.

            Es ist die Stunde, zu der „Piter“ von seinem Geheimnis am meisten offenbart, seiner Schönheit, seiner schier unglaublichen Eleganz. „Alles ist eine Illusion, alles ein Traum, nichts ist, was es scheint“, schrieb der Dichter Nikolaj Gogol über die „Stadt der Geister“.

           Vor dem Boot auf dem Wasser der Newa ziehen die Marmorpaläste, die prunkvollen Barock-Fassaden, die klassizistischen Gebäude wie ein breites Goldband vorbei. Das Winterpalais, Eremitage: größtes und schönstes Kunstmuseum der Welt, geradezu synonym mit St. Petersburg, die schwere Goldkuppel der Isaac-Kathedrale, die vergoldete Turmnadel der Peter- und Paul-Kathedrale, sie schaukeln - Spiegelbilder - in dem goldglänzenden Fluss und verweben Traum und Wirklichkeit.

          Der Abschied am nächsten Tag fällt schwer, die gewaltigen Stimmen der fünf Kirchensänger in der kleinen Kapelle hallen nach, durchwirken den Zauber des gestern Gesehenen. Bis die Kulisse von St. Petersburg am Heck-Horizont verschwindet, bleiben die Gäste an Deck. Der Lunch, sonst Fixpunkt im Bordalltag, muss warten.

          MS Kronstadt nimmt Kurs auf Mandrogi. Mit 13 Knoten tuckern wir auf den Spuren der Zaren. Für Peter den Großen blieb es ein Traum, von seinem Petersburg nach Moskau zu segeln; erst 1923 wurde die ganze Strecke schiffbar. Vor dichten Kiefernwäldern gleiten wir durch das dünn besiedelte Karelien, durch ein stilles Land der Flüsse und Seen. Auch mit seiner Natur kann Russland prahlen und strahlen. In der Nacht durchqueren wir den Ladogasee, zweitgrößten Süßwassersee weltweit nach dem Baikalsee, 34 mal so groß wie der Bodensee.

           Der erste leichte Morgennebel, die erste Schleuse und das Open-Air-Modelldorf Mandrogi mit einer erlesenen Auswahl an landestypischen Souvenirs und buntbemalten Holzhäusern, Wodkamuseum und Schaschlik-Picknick: wir sind auf der Svir, die den Ladogasee mit dem Onegasee verbindet.

           Am Nachmittag wird der Deckstuhl zum Kinosessel: vor Bug funkelt die Landschaft in der Sonne und zieht filmgerecht steuer- und backbords vorüber. Kiefern und Birkenhaine lichten sich, an den Ufern Blockhäuschen in bunten Gärten und märchenhafte Klöster: manch weibliches Mitglied der Zarenfamilie wurde hierhin verbannt - auch eine Frau Ivans des Schrecklichen. Der Bordpianist intoniert die ‚Schicksalsmelodie‘.

           Die Ufer schwingen nun in dunstige Fernen, vor uns breitet sich endlos der Onegasee, auf dem an die 1650 Inseln „schwimmen“ – eine davon ist Kishi, nördlichster Punkt der Kreuzfahrt. Espenduft empfängt am frühen Morgen die Ausflügler, die vor der 300 Jahre alten Verklärungskirche in nordrussischer Holzbaukunst sich versammeln –  Zwiebeltürmchen aus Espen-Schindeln, 33 silbrig glänzende Kuppeln. Kishi – darin sind sich alle einig - ist zu Recht UNESCO-Weltkulturerbe.

           Kaviar-Degustation mit Blinis und ein Wodka-Seminar stehen auf dem Programm, prijatnawa apetita! Die Gäste lieben diese Abwechslungen, denn die Flussreise kommt ohne prachtvolle Kabinen und glamouröses Entertainment  aus - von dem hochrangigen Balalaika-Akkordeon-Duo und der russischen Sängerin einmal abgesehen. Und Schiffsdirektorin Viktoria bietet Russischunterricht an, russische Tänze, das Lesen russischer Märchen –

na bitte.

           Die „Kronstadt“ zieht auf dem großen Kanal weiter nach Goritzy am südlichen Weißen See, umgeben von Wäldern, in denen Elche, Braunbären, Nerze, Biber und unzählige Vogelarten zuhause sind. Sieben Kilometer entfernt das Kyrillow-Kloster, das größte und wichtigste der orthodoxen Welt, ausgestattet mit den am besten erhaltenen Ikonen in Russland.

            Die Schleusen am Rybinsker Stausee! Der Kapitän und seine Mannschaft leisten Millimeterarbeit. Es geht 18 Meter hinunter auf die Wolga, rasant wie in einem Fahrstuhl. Die Wiesen verschwinden, der Himmel wird zum Spalt. Dann öffnen sich die Tore, große und kleine Kähne gleiten uns fast lautlos entgegen. Tutaew, das Tolga-Kloster, idyllische Dörfer links und rechts. Weiter südlich am oberen Lauf der Wolga liegt in praller Sonne eine der reichsten und schönsten altrussischen Städte: die Theaterstadt Jaroslawl mit wunderschöner Uferpromenade, Wolgastrand und fast schon mediterraner Atmosphäre.

            Ein Sonnenuntergang bannt uns an die Reling. Himmel und Wolken brennen. Über Nacht gelangen wir zum Provinzörtchen Uglitsch, das vom historischen Grusel zehrt: 1591 kam hier der Zarewitsch Dimitri, Sohn Ivans des Schrecklichen, zu Tode. Boris Godunow, der selbst Zar werden wollte, soll darin verwickelt gewesen sein. Am Tatort steht die entzückende Dimitri-Blut-Kirche mit rot-weißer Zuckerbäckerfassade und goldenem Sternregen auf blauen Kuppeln.

            Krönender Abschluss der Reise ist natürlich Moskau. Unser Bus schlängelt sich durch die Blechlawinen der Metropole. Vorbei an topsanierten ‚Zuckerbäckerhäusern‘, an alten Kämpfern, Gelehrten und Puschkin, versteinert und stumm. Man sagt, wer die bunte Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz und den Kreml nicht besichtigt hat, war nicht in Moskau: bei Nieselregen gelangen wir durchs Dreifaltigkeits-Tor zum Kathedralenplatz mit seinen vier Gotteshäusern. Die unzähligen goldschimmernden Kuppeln faszinieren die Touristen wie eh und je. „Ja, unsere goldenen Kuppeln! Das ist Russland!“, lächelt Stadtführerin Jelena. Und der Flussreisende tut sich im GUM an einer Waffel Moroschenoje, dem berühmten russischen Eis, gütlich.

 

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Service zur Russland-Flusskreuzfahrt

 

Einreise: Deutsche benötigen einen mindestens noch sechs Monate gültigen Reisepass sowie ein Touristenvisum, das in der Regel über den Veranstalter besorgt wird. Russland verlangt zusätzlich eine Auslandskrankenversicherung.

Anreise: Sie ist Bestandteil der Kreuzfahrtpauschale; z.B. Linienflüge mit Aeroflot oder LOT Polish Airlines ab Frankfurt/M, Berlin oder München nach St. Petersburg oder Moskau.

Gesundheit: An Bord ist ein Arzt. Behandlungen und Medikamente müssen vor Ort in bar (Euro) bezahlt werden.

Reisezeit: Fahrten wie beschrieben finden ab Mitte Mai bis Ende September statt.

Währung: Bordwährung ist der Euro; die gängigen Kreditkarten werden akzeptiert. Bei Landgängen braucht man im Allgemeinen russische Rubel. Aktuell bekommt man für einen Euro 74,49 Rubel.

An Bord: Ansagen werden in Deutsch durchgegeben. Es ist hilfreich, sich vorab nach der Bettenlänge in den Kabinen zu erkundigen. Je nach Reisepreis sind die Kabinen unterschiedlich groß und lang.

Literatur: Flusskreuzfahrten Russland, Trescher Verlag 2018, Berlin, 18,95 Euro mit ausführlichen Informationen und Karten zu allen Landgängen und Sehenswürdigkeiten unterwegs. www.trescher-verlag.de

Veranstalter: Zum Beispiel mit Nicko Cruises Flussreisen, 70499 Stuttgart. Die 11-tägige Reise mit der 4-Sterne-MS Kronstadt kostet mit Vollpension ab 1.699 Euro/Pers. in der Außen-Doppelkabine, 7 Ausflüge im Paket zusätzlich 199 Euro vorab oder an Bord buchbar.

Infos und Buchung: 0711/24 89 80-44; email info@nicko-cruises.de;

www.nicko-cruises.de

Auf Russlands Wasserwegen von Moskau nach St. Petersburg
Text und Fotos: Heidrun Lange

 

 

 

          "Mütterchen Wolga", sagen die Russen zum längsten Fluß Europas, der in den Waldai-Höhen entspringt und ins Kaspische Meer mündet. Früher fuhren die Zaren am Fluss entlang, und wo sie Rast machten, ließen sie prächtige Paläste bauen. Moskau ist ein guter Startplatz für die Flussfahrt, und der Rote Platz ist leicht zu finden, obwohl es in der russischen Hauptstadt Hinweisschilder nur in kyrillischer Schrift Schrift gibt. 

            Seit dem 16. Jahrhundert ist er Mittelpunkt, genutzt für Märkte und Paraden. Hinter den mächtigen Kreml- Mauern, dem Amtssitz von Präsident Putin, ragen prachtvolle Kathedralen mit goldenen Kuppeln empor. Gegenüber im weltberühmten Kaufhaus GUM, entstand auf vier Ebenen das größte Shopping-Center Europas. Jetzt ist alles vom Feinsten: Marmor, Granit, Messing, Glaskuppeln. 122 Läden, Cafés und Restaurants soll es hier geben. Immer noch stehen Touristen am Lenin-Mausoleum Schlange, um einen Blick auf den Gründer der Sowjetunion zu werfen. Der Andrang ist freilich nicht mehr so groß wie in sozialistischen Zeiten. In der Nachmittagssonne leuchten die Zwiebeltürme der Basilius- Kathedrale.       

           Abends heißt es Leinen los im Flusshafen. Das Schiff gleitet aus der Stadt hinaus auf den Moskwa- Wolga- Kanal, passiert Stauseen und Schleusen. 3500 Kilometer lang ist die Wolga von der Quelle bis zur Mündung. 1600 Kilometer von der Hauptstadt bis nach St. Petersburg fährt die "Tschitscherin" durch weite Landschaften, vorbei an Klöstern, Palästen und stillgelegten Industriekombinaten.  Irgendwann bleiben die baumbestandenen Ufer zurück, die Wolga wird zum See. Aus dem Wasser ragt der Glockenturm von Kajasin. Er erinnert als Einziger noch an die 1941 in den gestauten Fluten versunkene Stadt und dient seitdem als Navigationshilfe und als begehrtes Fotomotiv. Einige wenige Fragmente des Klosters liegen heute im Architekturmuseum des Moskauer Donklosters.  In den 30iger Jahren des vorigen Jahrhunderts begannen die Arbeiten zum Stau der Wolga. Die sollte auf der ganzen Länge schiffbar gemacht und die an der Wolga liegenden Städte sollten mit Strom versorgt werden. Acht Stauseen sind entstanden, der größte davon der Kujbytschew-Stausee hat eine Länge von 580 Kilometern. 

           Uglitsch, die Kleinstadt mit rund 38 000 Einwohnern im "Goldenen Ring", kommt in Sicht. Nahe der Wolga steht der Kreml. Aber nicht die Kathedrale, sondern die kleine Dimitri- Blut- Kirche mit ihren fünf blau- goldenen Kuppeln zieht die Blicke an. Ganz idyllisch liegt sie am Ufer und erinnert an den ungeklärten Tod des kleinen Zarensohnes Dmitri, der hier mit durchstochener Kehle gefunden wurde. Die Wandmalerei, einem Bilderbuch gleich, erzählt die dramatische Geschichte des siebenjährigen Sohnes von Zar Iwan dem Schrecklichen und des gesamten Dorfes, das für den Tod büßen musste. Wo die Wolga heute den riesigen Rybinsker Stausee verläßt, warteten einst die Treidler darauf, Kähne an Seilen aufwärts zu ziehen. An ihre harte Arbeit erinnern schwermütige Lieder. Die Musiker, die auf dem Schiff für Stimmung sorgen, singen immer und überall, aber keineswegs nur schwermütig. Quirlig und lebendig besingen sie die Seele Rußlands. 

           Das Beloserski- Kloster in Kirilow, einst eines der reichsten und berühmtesten, steht hinter Festungsmauern. In den Dörfern ringsherum schufteten 20 000 Leibeigene. Heute ist es ein Museum und zwei Mönche wohnen dort.  Weiter geht es über das "Rybinski Meer" und über den Wolga- Ostsee- Kanal Richtung Onega- See, wo das "Kleinod des Nordens" lockt. 200 Kilometer Überfahrt sind es bis zur Insel Kischi, deren Holzarchitektur zum Weltkulturerbe der Unesco zählt. Schon von weitem glänzen silbern die 33 Kuppeln der beiden Kirchen. Die Bauwerke entstanden ohne einen einzigen Nagel. Wenn nach dem Rundgang wieder alle an Bord sind, peilt das Schiff den Fluss Swir im Südwesten des Sees an. In Sicht kommt der Ladogasee, der größte Europas, über 30 mal so groß wie der Bodensee.

           In Richtung St. Petersburg genießen wir an Deck den scheinbar immer währenden Tag, die Zeit der "Weißen Nächte". Im sanften Dämmerlicht geht es weiter über die Newa nach St. Petersburg. Wie in jeder Großstadt drängen sich die Fußgänger vorbei an Palästen, in die Erimitage und Museen. Sie lustwandeln über den Schlossplatz oder besuchen eines der vielen Theater. Alle Gebäude sind nur wenige Stockwerke hoch. Eine Verordnung des Zaren verbot, Häuser zu bauen, die höher waren als der Palast. Um das Stadtbild zu erhalten wird sie noch heute befolgt. Eine Ausnahme gibt es nur für Kirchen und Kathedralen. Ihre goldenen Türme und Kuppeln überragen die Häuserfassaden. Im Katharinenpalast, einen Steinwurf von St. Petersburg entfernt, erzählt die Reisführerin die Geschichte der Zarenfamilie. Sie erzählt von Macht und Intrige, von Pracht, Kraft und Verfall: Von Iwan dem Schrecklichen, Peter dem Großen, Zarin Elisabeth und Katharina II. Das berühmteste Zimmer der Welt, das Bernsteinzimmer, wurde zum 300.Geburtstag der Stadt rekonstruiert.

Auskunft:
Veranstalter von Flussfahrten: Nicko tours GmbH
Mittlerer Pfad 2
70499 Stuttgart
Telefon.: 0711 / 2 48 98 00, Fax: 0711 / 24 89 80 77